Spiegelungen im PK Kino Ost - Kolumne »Miroirs No. 3«, von Grit Dora

Als Christian Petzold am Abend des 18.09.2025 seinen neuen Film »Miroir Nr. 3« im Berliner Filmtheater am Friedrichshain vorstellte, war auch Dresden dabei – das PK Ost gehörte zu den rund zwanzig Häusern, die live zugeschaltet waren. Eine feine Überraschung mit beglückenden Momenten gleich zu Beginn: Knut Elstermann nahm sich als unermüdlicher Anwalt des Kinos die Zeit, alle teilnehmenden Filmtheater aufzuzählen (das PK Ost an erster Stelle!), was für Jubel und Heiterkeit im Capitol-Saal sorgte, und stellte ein Q&A nach der Premiere in Aussicht. Nach dem Abspann folgte das Gespräch. Elstermann lud das Ensemble auf die Bühne: Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt und Enno Trebs, angeführt von Christian Petzold, der ersichtlich mit seiner Aufregung rang. Das sorgte für noch mehr Sympathien beim ohnehin sehr zugeneigten Publikum. Matthias Brandt gab gewohnt präzise Auskünfte, hinter seinen Brillengläsern blitzte der Schalk, als er auf seine Rolle als KFZ-Werkstattbetreiber angesprochen wurde und Elstermann meinte, von ihm würde er unbesorgt einen Gebrauchtwagen kaufen. Paula Beer formulierte konzentriert und klar, Barbara Auer eher zurückhaltend mit viel Understatement stets auf das Ensemble verweisend, während Enno Trebs mit fescher Strickmütze und jugendlicher Direktheit punktete. Stärker noch als die einzelnen Statements war die Atmosphäre zwischen den Beteiligten: die aus langjähriger gemeinsamer Arbeit gewachsene Vertrautheit. Diese Nähe überträgt sich wunderbar im Film. »Miroir Nr. 3« erzählt, ganz im Geiste Petzolds, von Spiegelungen und Projektionen, von Figuren, die einander begegnen, sich erkennen oder zu erkennen glauben, sich wieder verlieren. Dabei entfaltet der Film eine stille Intensität, die wie so oft bei Petzold nicht von lauten Gesten sondern von den feinen Verschiebungen zwischen den Charakteren lebt.
Damit vollendet der Regisseur den mit »Undine« (2020) und »Roter Himmel« (2023) eingeschlagenen Bogen. In »Undine« bestimmte der mythische Unterton den Film, das alte Märchen von der Wasserfrau, gebunden durch den großen Ingeborg-Bachmann-Text. In »Roter Himmel« durchdrang das heraufziehende Feuer als bedrohlich näher rückendes Ereignis die Situationen, den Schauplatz einkreisend, die Spielräume verringernd, die Beziehungsthematik zuspitzend. Beide Filme spielten mit der merkwürdigen Petzold-spezifischen Spannung zwischen Realismus und Mythos, Alltag und Symbol.
Hier knüpft »Miroir Nr. 3« an, nach Wasser und Feuer ist nun das Element Luft (der uckermärkische Wind) an der Reihe. Weitergeführt wird auch das Motiv der Spiegelungen, schon durch Ravels titelgebendes Klavierstück stets präsent. Petzolds neuer Film wirkt noch intimer, noch kammerhafter als seine beiden Vorgänger. Die Dialoge sind knapp, die Gesten minimal, und doch öffnet sich dahinter ein Raum voller Fragen: Was bleibt von uns im Blick der anderen? Wie stark bestimmen die Projektionen der anderen unser Leben? Oft genügt ein kurzes Erstarren der phantastisch verschlossen spielenden Paula Beer, die dennoch stets Optimismus auszustrahlen imstande ist, eine kleine Verschiebung in Matthias Brandts Mimik, oder ein zögerlicher Schritt Barbara Auers, um die Leinwand in Schwingung zu versetzen. So präzise wie wortkarg erzählen sie von der existenziellen Bedrohung, die Schicksalsschläge bei Überlebenden oder Nahestehenden auslösen und zugleich von zarter, stets unsicherer Nähe. Dieses extrem genaue Heranzoomen, das beim Blick aufs Detail das große Ganze, die verunsichernde Gegenwart, nie vergisst, macht Petzolds Kino unverwechselbar. Hinzu kommt das Vergnügen an den eingebauten Filmreferenzen: David Lynchs weißer Gartenzaun aus »Blue Velvet« (1986) wird ebenso zitiert wie das rote Cabrio aus Truffauts »Das Geheimnis der falschen Braut« (1969).
Im PK Ost herrschte nach der Übertragung spürbare Begeisterung. Man hatte nicht nur einen Film gesehen, sondern war Teil eines geteilten Moments geworden, vereint in der gemeinsamen Erfahrung der Filmpremiere. Als Bonus verriet das Ensemble noch einige Tricks aus Petzolds Regiewerkzeugkasten, und der Regisseur gab schon einen Hinweis auf sein nächstes Filmprojekt. Das wird hier aber nicht verraten.
Grit Dora
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