Help yourself to a hand grenade! Kolumne zu Der Phönizische Meisterstreich, von Grit Dora

Sein neuer Film ist etwas niedrigschwelliger als die beiden letzten (Asteroid City, The French Dispatch), die auch Teilen des Wes-Anderson-Fanclubs zu puppen-stubig verspielt, abgezirkelt und mit Ebenen überladen erschienen. Die phönizische Story ist weniger labyrinthisch, trotzdem gilt es höllisch auf den Gang der
Handlung zu achten, obwohl die einzelnen Kapitel übersichtlich in sehr, sehr hübschen Schuhschachteln
aneinander gereiht sind:
1950 hat der dubiose Magnat Anatole „Zsa-Zsa“ Korda nach einem schweren Flugzeugabsturz, dem neuesten in einer nicht enden wollenden Kette von Attentaten, eine Nahtoderfahrung, die ihn vor eine Art Jüngstes Gericht führt und für Korda der Auslöser ist, die windigen, oft auch schmutzigen Geschäfte, probeweise seiner Tochter Liesl (Mia Threapleton), einer Novizin zu übergeben, um seine Angelegenheiten mit Blick auf einen baldigen Tod zu ordnen. Liesls „Probe“ ist die Durchführung des titelgebenden Meisterstreichs, gemeinsam mit ihrem Vater und dem doppelbödigen Privatlehrer Bjørn Lund (Michael Cera). Es gilt eine riesige Finanzierungslücke zu schließen, Geschäftspartner zu höheren Zahlungen zu überreden, zu zwingen oder anderweitig über den Tisch zu ziehen.
Peu à peu entsteigen den Kapitelkartons immer bizarrer werdende Figuren wie die Bauleiter Leland (Tom Hanks) und Reagan (Bryan Cranston), der Nachtklubbesitzer „Marseille Bob“ (Mathieu Amalric), der Investor Marty (Jeffrey Wright), Cousine Hilda (Scarlett Johansson) und Kordas feindseliger, geradezu „biblischer“ Bruder Nubar (Benedict Cumberbatch). Es wird getrickst, gekämpft und geschossen, stets auf sehr hohem chaplinesken Niveau. Schlussendlich erkennt Korda sein moralisches Defizit, schließt die Finanzierungslücke durch den kompletten Einsatz seines riesigen Vermögens und lebt hinfort arm, aber ehrlich(er) und glücklich mit Tochter Liesl und seinen neun Söhnen.
So weit, so verhältnismäßig simpel. Und in dieser schnurgeraden Schlichtheit: wie überaus bezaubernd! Wes Anderson wirft wieder seine ganz Kunst in die Waagschale, arbeitet mit fein ziselierten Babelsberger Pappmache-Sets, den zutiefst befriedigenden symmetrischen Bildern in entsättigten Farben, die sein Markenzeichen sind. Vertraute Requisiten wie Pfeife und Feuerzeug kommen schwelgerisch zum Einsatz, diesmal ergänzt vom luxuriösen Rosenkranz der Novizin Liesl. Züge und Flugzeuge sind wieder die liebevollst ins Bild gesetzten Transportmittel der Wahl.
Auch inhaltlich beackert Wes Anderson seine Kernthemen: die schlechte, aber sympathische, irgendwann leicht geläuterte Vaterfigur (unvergesslich der große Gene Hackman als Royal Tenenbaum), wissende Halbwaisen, Kinder, die ihre Eltern mit Röntgenaugen zu betrachten imstande sind, dysfunktionale Familien mit einer zarten Hoffnung auf Erlösung. Das Ensemble spricht schnell und flach, auch das ist charakteristisch. Die Modellhaftigkeit von Andersons Mikrokosmen hat sich eher noch verstärkt, die Puppenhaftigkeit der Menschen, die Melancholie, die sich aus ihren vorhersehbaren Handlungen ergibt. Slapstick bricht sie auf und man kann Wes Anderson gerade dann als einen besonders tiefen Humanisten wahrnehmen, wenn er Waffen einsetzt. Ob Schnellfeuergewehr oder Handgranate: Alles ist überdeutlich aus Pappe gemacht, alles ein Spiel. Zum Lachen. „Help yourself to a hand grenade!“, sagt Zsa Zsa Korda, wenn er seinen Geschäftspartnern ein Mitbringsel offeriert. Mit dieser Metapher macht der Regisseur ganz nebenbei die schier übermächtig wirkenden Potentaten der Gegenwart zu Popanzen, zu Gartenzwergen. Weil sie es ernst meinen mit ihren Gewaltphantasien, während man Konflikte doch ganz anders austragen könnte. Und so führt Wes Anderson auf seine unverwechselbare, eigentümlich schöne Weise einmal mehr vor, welch ein guter Ort für gute Visionen das Kino ist. Ein phantastischer Raum, um immer wieder zu zeigen, dass mehr möglich ist als das, was da ist, mehr als die sogenannte Realität.
Grit Dora
Da dieser Text allzu euphorisch ausgefallen sein könnte, noch etwas kleinteiliges Geningel im Abspann: Benedict Cumberbatchs Maskenbild (Heike Merker) fällt leider allzu sehr aus dem subtilen Andersonschen Rahmen und der Spieler damit aus seiner Rolle, erschlagen von Make up, einer extrem elaborierten Perücke, riesigen Stummfilmaugenbrauen und einem überwältigenden Bart – Cumberbatch kommt gegen diese Materialmengen nicht an, vielleicht ist sein Auftritt dafür einfach zu kurz. Bill Murray wiederum gelingt es mühelos, gegen sein noch größeres Haarkleid anzuspielen. Aber er ist auch auf einer ganz anderen Ebene unterwegs, im Himmel, muss also nur götzenhaft dreinschauen als – Gott. Die schon lange währende Ahnung, dass Murray eine göttliche Instanz ist, hat Wes Anderson nun endgültig beglaubigt.
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