Das deutsche Volk
Stell dir vor. Du blutest aus Schusswunden. Deinem Bruder kannst du nicht mehr helfen, der liegt tot neben dir. Du suchst weiter. Findest nur Tote. Du begibst dich in die Obhut von Rettungskräften. Wirst versorgt. Auf der Rettungstrage schaust du in den Nachthimmel. Der Täter schießt erneut. Dich und deine Rettungstrage drehen die Sanitäter um, um sich dahinter in Sicherheit zu bringen. Du wirst zu ihrem Schutzschild…
Stell dir vor. Dein Sohn verfolgt nicht nur den Täter. Er ruft, ehe er selbst erschossen wird, dreimal erfolglos bei der Polizei an. Stell dir vor. Zeugen geben das Autokennzeichen des neunfachen Mörders an die Behörden weiter. Und nach 60 Minuten stehen diese vor dessen Wohnhaus, wo er sich und seine Mutter getötet hat. Stell dir vor. Der zuständige Minister spricht von „exzellenter Polizeiarbeit in dieser Nacht“. Stell dir vor. Fünf Menschen hätten die Arena Bar über den Fluchtweg nahezu unversehrt verlassen können. Wäre dieser nicht aktenkundig verschlossen gewesen. Stell dir vor. Es gäbe jemanden, der hierzu ein Ermittlungsverfahren zuließe. Stell dir vor. Du beerdigst eigenhändig die Körper deiner drei Freunde. Weil du von den 16 Schüssen am Tatort unversehrt geblieben bist. Stell dir vor. Die „lückenlose Aufklärung der Tatumstände“ könnte auch nur einen einzigen, zukünftigen, rassistisch motivierten Anschlag verhindern helfen. Stell dir vor. Der Höchste im Staate spräche von einer „Bringschuld“ den Hinterbliebenen gegenüber, die es umgehend einzulösen gelte. Stell dir vor. 730 Tage später setzt du nur mit Hilfe von drei Oppositionsparteien durch, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Stell dir vor, dein Bürgermeister müsste nicht entsetzt darüber sein, dass mindestens dreizehn in der Tatnacht eingesetzten SEK-Beamten dieselbe Gesinnung hatten wie der Täter. Stell dir vor. Du hättest ein Jahr lang „geweint wie eine kaputte Wasser“. Stell dir vor. Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen. Stell dir vor. Du lebst in Hanau. Und das deutsche Volk lebt auch da.
alpa kino
Buch: Marcin Wierzchowski
Regie: Marcin Wierzchowski
Kamera: Peter Peiker, Stephan Wagner, Marcin Wierzchowski
Bundesstart: 04.09.2025
Start in Dresden: 04.09.2025