Das unbekannte Mädchen

Während des Filmes klopft eine junge Frau an etliche Türen, läuft durch die halbe Stadt, stellt am Telefon die immer gleichen Fragen und sammelt, so ganz en passant, ein bedrückendes Stimmungsbild der Gesellschaft ein. Formal ähnelt dieser neue Film der Gebrüder Dardenne also seinem Vorgänger auf unheimliche Weise. War es dort Marion Cotillard, die »Zwei Tage, eine Nacht« lang auf der Jagd nach etwas Solidarität bei ihren Arbeitskollegen war, ist es hier Adèle Haenel, die als junge Ärztin Jenny den Tod eines farbigen Mädchens erforscht. Womöglich hätte sie ihr helfen können, doch sie ignorierte das Klingeln an der Tür ihrer Praxis und gefiel sich noch darin, den Praktikanten darauf hinzuweisen, dass Feierabend sei. Für die Dardennes-Brüder ein genügend starkes Motiv, sie nicht nur die Begräbniskosten der Unbekannten übernehmen zu lassen, sondern sie anschließend auf eine beschwerliche und im Folgenden nicht ganz ungefährliche Suche nach der Herkunft der Toten zu schicken. Jenny geht sogar soweit, einen lukrativen Job in der Forschung auszuschlagen und statt dessen die Praxis zu übernehmen, in der sie zum Zeitpunkt der Ereignisse eigentlich nur die Vertretung war. Zum Teil als Wiedergutmachung und dann, weil sie glaubt, von dem Mädchen eher eine Spur unter ihren Patienten finden zu können. Soweit die dankenswerte Intention der Regisseure, die hier ganz klar beim Opfer liegt und die nicht zwangsläufig auch zum Täter führen muss. Tut sie aber doch. Und so sucht Jenny erstmal nach ihrem Praktikanten und gemeinsam tasten sie sich dann ins Milieu von Menschenhändlern vor, um den spärlichen Spuren nachzugehen. Jennys Gewissensbisse lassen sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Auch von zwielichtigen Gestalten und handfesten Drohungen nicht.
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