Büchner.Lenz.Leben
Am Anfang ist die Stimme. Man hört zu. Man sieht nichts außer dem einen ungeschiedenen Weiß, das die Leinwand zudeckt. Allmählich lösen sich daraus die Umrisse einer verschneiten Bergwelt, die von der einsamen Höhe einer Bergspitze aus sichtbar wird. Die Kamera beginnt zu kreisen, das Auge begibt sich auf Wanderung - bis zur Wiederkehr der Anfangsstellung und des anfänglichen Blicks auf die Landschaft.
Textgrundlage ist Georg Büchners Prosawerk Lenz. Der Schauplatz ist Waldersbach, jene Ortschaft in den Vogesen, südlich von Straßburg und inmitten der Bergwelt von Ban de la Roche, wo der junge Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz seine einsamen Wanderungen unternahm, während er im Frühjahr 1778 beim örtlichen Pfarrer und Philanthropen Johann Friedrich Oberlin weilte, in der Hoffnung auf Erlösung von einer tiefen psychischen Krise.
Auf den ersten Blick möchte man den Film als Literaturverfilmung einstufen. Doch bemerkt man bei näherer Betrachtung gleich zwei wichtige Unterschiede. Zum einen bildet hier der Text, der mit lückenloser Treue vorgelesen und anhand einer anspruchsvollen Intonationstechnik erschlossen wird, eine eigene und eigentümliche Ebene, parallel zur Entfaltung der Bildsprache: unabhängig davon und doch darauf bezogen. Damit wird der Unterschied zwischen Textgrundlage und Drehbuch zurückgenommen, der für Literaturverfilmungen typisch ist.
Zum anderen wird hier die vertraute Theatererwartung vereitelt, dass die Figuren der Erzählung durchgängig und mit allen Mitteln der Schauspielkunst simuliert werden. Stattdessen tritt hier die zentrale Figur von Lenz teils als Rolle in Erscheinung, teils aber auch als mentales Bild, das vom laut gelesenen Text ausgelöst wird. So agiert Kremer - der aufgrund seiner langjährigen Bühnenerfahrung mit Büchner die feineren Zwischentöne des Textes herauszuholen versteht - mal außerhalb des Textes als (Vor-)Leser, mal innerhalb als der Dichter Lenz.
Buch: Pravu Mazumdar
Regie: Isabelle Krötsch
Darsteller: Hans Kremer
Kamera: Herbert Stang
Produktion: Atelier Kremer, Krötsch, LPM Saarland
Bundesstart: 28.05.2015
Start in Dresden: