Großartige oder klamottige DDR-Komödie?
Unsere Kritiker sind sich uneinig. Braucht es heute mehr solcher Filme mit diesen großartigen Frauen, wie sie von Sandra Hüller verkörpert wurde oder bleibt zu hoffen, dass jüngere Filmschaffende neu ansetzen? Es gibt noch viel zu erzählen und zu entdecken über den Beginn der Neunziger.
Pro
Nach der Schauburg-Premiere des Films stehe ich mit dem Revoluzzer und dem Träumer auf der Königsbrücker Straße. Ronald Zehrfeld, Max Riemelt und ich, wir sind uns einig: Es braucht heute mehr von diesen großartigen Frauen, wie sie soeben von Sandra Hüller verkörpert wurde. Die mit ihrer kompromisslosen Leichtigkeit alle unterhaken, die von einem tête-à-tête zu fünft träumen, und die über den Konsum-Berg hinweg fragen: Seid ihr eigentlich zufrieden?
Als Kinder kannten wir alle den Satz „Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft, ...“ Was nicht über’m blauen Marx zu lesen stand, lernen wir jetzt im Kino: Wer echte Banknoten sich verschafft aus der Mülltonne und diese wieder in Umlauf bringt und dabei säckeweise in harte Währung tauscht, wird einen Riesenspaß erleben. Sommer 1990, die D-Mark kommt und auch in Halberstadt gehen überall die Lichter aus. Die Volks-Eigenen-Betriebe entleeren sich in die Flure der provisorischen Arbeitsämter. Dass ausgerechnet im unterirdischen Komplexlager 12 emsig gearbeitet wird, erregt das Interesse von Robert (Max Riemelt) und Volker (Ronald Zehrfeld). Sie statten dem NVA-Bunker einen Besuch ab. Nicht ohne Maren (Sandra Hüller), denn nur sie kennt den Einstieg. Ohne Maren würden die Beiden nie etwas Verbotenes tun. Auf's Gelände lässt sie Markowski (Peter Kurth), quasi Hausmeister und heimlicher Hüter eines wertlosen Schatzes. 3.000 Tonnen DDR-Papiergeld sollen hier verrotten, auf Beschluss der Staatsbank der DDR, die sich faktisch und technisch nicht imstande sieht, ca. 109 Mrd. Ost-Mark zu beseitigen. Alle stopfen sich die Taschen voll und tragen raus, soviel es geht...
Als Regisseurin Natja Brunckhorst zum ersten Mal von der verrückten Ostgeld-Bunker-Idee liest, kann sie ihr Glück kaum fassen. Pures Drehbuchgold. Dass vor Ort noch 1999 zufällig zwei Männer mit vollen Rucksäcken gefasst wurden, recherchiert sie erst später. Bewusst sind ihr aber bereits Genialität & Schönheit dieser, nennen wir sie einmal, äußeren Matrjoschka-Puppe. Welche sie nun befüllt mit einer Reihe kleiner, bunter Figuren. Klar, Brunckhorst versucht unser Gedächtnis an den Alles-ist-möglich-Sommer-1990 zu bestechen mit ein wenig Adrenalin. Nur wenig davon, auch niemals zu viel Klamauk, was bei dieser Egon-Olsen-artigen Grundidee leicht hätte passieren können. Immer versucht sie auch, die korrekte Ost-Elle anzulegen. „Die 98% gelernter DDR-Bürger im Film-Cast standen mir immer liebevoll und hilfreich auf meinen Füßen, wenn es um das echte 1990er Gefühl ging“ ruft sie auf Nachfrage in die gut gefüllte Schauburg.
Mit Halbsätzen skizziert sie pfiffig Biographien. Ohne dick aufzutragen. Der olle Lunke war wohl bei Horch&Guck, Maren trauert nicht länger der verpassten Interflug-Karriere nach, und der-über-den-keiner-spricht-Markowski betreibt leise lächelnd Inflations-Feldforschung, weil ihm das neue System ebenso schnuppe scheint wie das alte. „Ich fand das interessant“, mal zu schauen, wie sich die Mäuse unterm Brennglas verhalten. Beim Verteilen, Verdoppeln, Vergrößern. Lässt ihn Brunckhorst sagen. Der außerdem ein echt urster Vorspann gelingt, sowie ein funky Sommer-Intro vorm Neubaublock, ein niedliches Ehebett-Mikado zu fünft, eine grundehrliche Jahrhundert-Ansage von der Geld-Wasch-Maschine Ursula Werner und ein gnadenlos schöner IKEA-gelber Ent-Täuschungsmoment mit dem hierfür eigens in Dresden geborenen Martin Brambach. Ehe sie dann ihrer verschworenen Hausgemeinschaft in Handschellen noch eine märchenhafte Szene mit dem leicht irritierten Genscher schenkt (etwas KI hätte seiner Stimme gut getan). Letztere Szene ist der Meine-Frau-ist-auch-Brian-Moment des Films und ganz durchdrungen vom Revoluzzertraum, wonach wir alle zusammen in einer bunten Gemeinschaft jede noch so verrückt scheinende Idee hätten umsetzen können. Wäre uns die eine oder andere Maren mehr begegnet, damals 1990. Vielleicht hätten wir mehr Verbotenes gewagt und weniger Hirn zu einem schlechten Kurs getauscht gegen Gier.
Es bleibt ein attraktives Fazit. Könnten wir diese Maren verdoppeln, verhundertfachen, zwei zu eins tauschen, eins zu zehn, egal, in Rucksäcken raus tragen aus dem Kinobunker... und in Umlauf bringen; ein wenig Inflation des anständigen Charakters, das fänd’ ich schon noch interessant.
Rollo Tomasi
Contra
Sie ist auf Kinotour mit ihrem neuen Film - Drehbuchautorin und Regisseurin Natja Brunckhorst. Bei der Hamburg-Premiere im legendären Abaton-Programmkino begleitet sie Olli Diettrich, Max Riemer und Roland Zehrfeld haben abgesagt. Die Stimmung ist gut, der Applaus freundlich, Brunckhorst und Diettrich wirken ein wenig erledigt vom Touren. Ein bisschen Nähkästchengeplauder vom Set und die dringende Bitte, den Film weiterzuempfehlen, wenn er gefallen hat. Dann eilen sie weiter zum nächsten Termin. Deutsche Filmschaffende haben es nicht leicht, die Bedingungen werden eher härter.
Wahnsinnig gern hätte ich diesen Film empfohlen, der Trailer war vielversprechend, die Story klang großartig, die Besetzung sowieso. Tatsächlich hat Brunckhorst einen skurrilen Fakt aus dem wilden Jahr 1990 ausgegraben, der nach Kino schreit, sechs Jahre hat sie daran gearbeitet.
Es geht um DDR-Geld-Klau in der Woche der Währungsunion und wie eine gewitzte und mehr oder weniger verschworene Gemeinschaft das Beste aus den abgewirtschafteten Resten machen will. Denn hey, wenn gelernte DDR-Menschen ein Patent auf etwas hatten, dann auf Improvisationskunst! Die wird denn auch leicht und heiter inszeniert, das phantastische Ensemble gleicht Ungereimtheiten des Drehbuchs über längere Strecken lässig aus. Die punktgenauen Kostüme und das liebevolle und präzise Szenenbild sorgen für Authentizität. Leider tappt die Regie trotz aller gegenteiligen Beteuerungen sehenden Auges in die Slapstickfalle und macht aus der brisanten Ausgangssituation eine Klamotte.
Aus Menschen, die einer krassen Umbruchsituation ausgesetzt sind, werden niedliche Figürchen in einem niedlichen Zwergstaat, Figürchen, die nicht aufhören wollen, an skurrile Dinge zu glauben, während ihr Ländle possierlich den Bach runtergeht. Wieder einmal ist man aufgefordert, dieser Sichtweise zu folgen und sich die Schenkel zu klopfen, klamottige DDR-Komödien sind inzwischen ein eigenes Genre, der Platz hier reicht nicht, um Beispiele aufzuführen. Nicht einmal Sandra Hüller und Peter Kurth können erfolgreich gegen diesen verzwergenden Blick anspielen. Dass die eingangs erwähnten Riemelt und Zehrfeld blass bleiben, liegt nicht an ihrer Schauspielkunst. Und so schaut man und ärgert sich darüber, dass diese wirklich tolle Plot-Steilvorlage, die Brunckhorst ausgegraben hat, in ein weit verbreitetes Fazit führt: Die DDR war - ein Witz.
Das macht umso trauriger, als jeder Film zu diesem Thema bitter nötig ist. Denn die gefühlten vier Seiten DDR, die aktuelle Geschichtslehrbücher zur Information der nachwachsenden Generationen beitragen, sind nicht mal Tropfen auf heiße Steine. Drum allemal Dank an Natja Brunckhorst, dass sie immerhin versucht hat, ein wesentliches Stück deutscher Geschichte in den Fokus zu nehmen. Da sind auch schon andere gescheitert - sogar der große Andreas Dresen mit »Als wir träumten«. Bleibt zu hoffen, dass jüngere Filmschaffende neu ansetzen - es gibt noch viel zu erzählen und zu entdecken über den Beginn der Neunziger, über diese kurze wilde Zeitspanne, in der alles möglich schien, über diesen atemberaubenden freiheitlichen Zwischenraum in der Lücke zwischen zwei Systemen.
Grit Dora