Alte Lieben & sommerliche Leichtigkeit des Seins – »Liebesbriefe aus Nizza«
Diese Passion, Liebesbriefe zu schreiben – sie machte und macht nur Ärger. Noch schlimmer, als welche zu schreiben ist nur, die empfangenen aufzuheben. Niemand hat das überzeugender dargelegt als Theodor Fontane in seinem berühmtesten Roman, in dem eine sehr junge Frau an einem sehr alten Seitensprung zugrunde geht. Schwere Seelenpein und noch schwerere Konsequenzen für untreue Frauen – dieser bedrückende Umgang mit der Liebe ist unseren Nachbarn weder fremd noch fern, aber Heiterkeit findet viel häufiger statt.
Und so bringt der Sommer jedes Jahr dutzendweise charmante französische Komödien ins Kino. Oftmals wird mindestens eine zum Publikumsmagneten. Die Mindestqualitätsstandards in Bezug auf Eleganz, Poesie und Leichtfüßigkeit sind in Frankreich immer garantiert.
Regisseur Ivan Calbérac (»Frühstück bei Monsieur Henri«) macht da mit seinen »Liebesbriefen aus Nizza« keine Ausnahme. Filme und besonders Ehekomödien mit und für Menschen im fortgeschrittenen Alter haben Hochkonjunktur, die Zielgruppe ist zahlenmäßig stark angeschwollen. Calbérac hat Drehbuch und Regie konsequent auf die Generationen über 60 zugeschnitten und entwickelt zunächst sehr vorhersehbar (Stichwort: »Monsieur Claude«) seine Geschichte von einem Paar, das durch den Fund 40 Jahre alter an die Frau gerichteter Liebesbriefe erst aus dem Takt und dann aus dem Gleis gerät.
Dem Mann, einem ehemaligen General, fällt als Mittel der Wahl nur ein, dem in Nizza lebenden verflossenen Liebhaber eine Tracht Prügel angedeihen zu lassen, die Frau hingegen wirkt wie erleichtert über die Geschehnisse, versprechen sie doch frischen Wind in einer eintönigen, vom Patriarchen dominierten Ehe, in die ihre sehr unterschiedlichen längst erwachsenen Kinder wenig Abwechslung zu bringen vermögen. Im lieblichen Ambiente Nizzas, der für amouröse Verwicklungen prädestinierten größten Stadt an der französischen Riviera, kommt es dann zu allerlei Tohuwabohu. Der frühere Liebhaber ist überraschend fit und kann auch noch Karate, freut sich aber vor allem ganz schlicht, seine alten Freunde wiederzusehen, der General läuft mit seinen Aggressionen ins Leere und kommt irgendwann nicht mehr umhin, sich mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen.
Bis zu diesem Punkt wirkt die Handlung ziemlich trivial, die Dialoge eher platt, die Sets klischeeüberladen, doch plötzlich entwickelt sich das Ganze zu einer etwas feinsinnigeren Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, der Ton wird ernster. Alter schützt eben vor Liebe nicht und erst recht nicht vor Verletzungen. Kindheitserinnerungen kommen hoch und die beiläufige Erinnerung an die wöchentliche Tracht Prügel durch den eigenen Vater setzt dem General auf einmal mehr zu als der uralte Ehebruch seiner Frau. Die Reise in die Vergangenheit wird zur Reise zu sich selbst. In den Wirrungen des alten Paares spielen auch die Kinder zunehmend eine Rolle, die ihre Eltern nicht getrennt sehen möchten, obwohl der militärische Vater immer heftig genervt hat. Der findet sich irgendwann in einer Vorstellung seines Sohnes wieder, dessen Puppenspielerdasein er nie akzeptiert hat. Aber er hat ihn, wenn auch widerwillig, seinen Weg gehen lassen und wie der Film das anhand einer Puppentheaterszene zeigt, ist so überraschend wie berührend. Er hat seinen brutalen Vater hinter sich gelassen und wird auch in der Lage sein, seiner Frau zu verzeihen. Am Ende siegt dann leider das Klischee, was sich aber dank eines letzten witzigen Plot-Twists gut aushalten lässt.
Ivan Calbérac hat ein besonderes Händchen dafür, eine triviale Erzählung mit kontroversen Themen anzureichern und sie schön beiläufig, vor allem aber mit großer Eleganz zu servieren. Ein typisch französisches Boulevard-Vergnügen. Fontane, der alte Auskenner und Bellizist, hätte seine Freude daran.
Grit Dora