Den Staub nicht zulassen, niemals
Ein Film begeistert, stürmt die Kinocharts, und sorgt auch im aktuellen politischen Kontext für Diskussionen. Unsere Autoren sind sich nicht ganz einig. Perfektes Kino oder eher sehr viel Selbstdarstellung und Emotionen der Täter?
Pro
Völlig zu Recht hat dieser Film den Großen Preis der Jury von Cannes erhalten. Es war auch eine der wenigen klar nachvollziehbaren guten Entscheidungen der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, »The Zone of Interest« den Oscar für den besten internationalen Film und den besten Ton zu verleihen. Dieser Film weist in die Vergangenheit wie in die Gegenwart, indem er die Mechanik von Ausblendungs-, Abschottungs-, Verdrängungsprozessen untersucht. Und er setzt sich wie kein zweiter mit dem Holocaust auseinander, indem er am Beispiel einer Familie die Totalverdrängung ihrer Taten durch die Täter zeigt. Einer deutschen Familie, die es sich in ihrem Alltag, mit seinen üblichen Freuden und Sorgen, Familienbesuchen und Kindergeburtstagen und der Massenvernichtungsmaschinerie von Auschwitz vor der Haustür bequem macht.
Als „Paradies“ bezeichnet Hedwig Höß, Ehefrau des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß ihr direkt an der Mauer des Konzentrationslagers gelegenes Anwesen. Akribisch sieht man sie die Pflege ihres von Häftlingen bearbeiteten Gartens überwachen, detailverliebt und perfektionistisch, bei gleichzeitigem Verschluss aller Sinnesorgane: Scheinbar vollständig blendet sie die Geräusche aus dem KZ aus, den Geruch, den roten Widerschein der Verbrennungsöfen, den Asche gesättigten Himmel. Sandra Hüller leiht dieser Frau ihren Körper und bringt es fertig, deren pragmatisch anmutende Mütterlichkeit, Naturverbundenheit und ihren Familiensinn so darzustellen, dass man der Bestürzung der Hedwig Höß beinahe Verständnis entgegenbringt, wenn Rudolf Höß ihr seine Versetzung und damit den bevorstehenden Auszug aus ihrem „Idyll“ ankündigt.
Jonathan Glazer stellt die Nacherzählung eines Verdrängungsvorgangs über klug gewählte filmische Mittel her. Durch Lücken, Aussparungen, abstrakte Bildeinschübe und die ausgefeilte Kameraarbeit gelingt ihm eine extreme, atmosphärisch dichte Konkretheit in der Darstellung. Da er so konsequent die Täter in den Bild- und Dialogmittelpunkt stellt, die Opferebene hingegen fast ausschließlich über die überwältigend einprägsame Tonspur und wenige, aber eindrückliche experimentelle Einstellungen herstellt, kommt es über die Dauer des Filmes und die kleinteilige Darstellung der innerfamiliären Alltäglichkeiten im Hause Höß zu einem beunruhigenden Gewöhnungseffekt, einer zunehmenden Ausblendung der nervenden „Störgeräusche“ durch das Publikum.
Hinweise auf der Textebene (so herrscht Hedwig Höß ihr polnisches Dienstmädchen an, dass ihr Mann sie jederzeit durch den Schornstein jagen könne), sind derart beiläufig eingewoben, dass man hochkonzentriert bleiben muss, um sie nicht zu überhören. Ertappt beim Verdrängen schrickt man auf, um sich die nur hörbaren Vorgänge hinter der Mauer wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Die Kamera blickt erst am Ende des Filmes in das Lager hinein. In diese, unsere Gegenwart, in der Reinigungskräfte täglich den Staub der Vitrinen und die Zugänge zu den Gaskammern wischen. Ein Bild, das in die Magengrube fährt. Der Putzvorgang bringt es auf den Punkt: Diese Taten dürfen nicht verjähren, nicht verschwiegen, nicht vergessen werden. Sie müssen in ihrer Ungeheuerlichkeit sichtbar bleiben. Das erfordert tägliche Arbeit.
Grit Dora
Contra
Verrückte Welt, ein Kunstfilm über eines der größten Verbrechen der Weltgeschichte stürmt die Kinocharts. Das Interesse ist gewaltig, der Film verspricht einiges und hält es auch: ein emotionales Ereignis, das die Zuschauer in seinen Bann zieht. Alle Gewerke liefern einen exzellenten Job, die Kamera besticht durch ihre künstlich anmutende Farbigkeit, die Tonspur irritiert, nervt und lässt erschaudern. Die Schauspieler, allen voran Sandra Müller und Christian Friedel spielen unglaublich (vor allem die Szene Abends im Bett, das Gegrunze und Vertraute). Und auch positiv hervorzuheben: Dem mittlerweile inflationär genutzten Begriff der Nazis wird hier sein reales historisches Vorbild entgegengestellt.
Kurzum, ein großartiger Film, der einfach perfekt ist? Eher nicht, verknappt gesagt, eher sehr viel Selbstdarstellung und Emotionen der Täter. Die Opfer werden auf die Tonspur ausgelagert und die Analyse scheint perfekt.
Dem Film liegt der gleichnamige, provokante Roman von Martin Amis zugrunde, der sich auf drei Protagonisten des KZ Auschwitz konzentriert. Es ist eine Geschichte von extremer Gewalt, sexueller und sonstiger Ausschweifungen. Grazer reduziert den Roman auf, ja was eigentlich? Eine Geschichte im klassischen Sinne ist es jedenfalls nicht. Eigentlich eher eine experimentelle Anordnung, ein Film über das Leben der Familie des Lagerchefs Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig. Sein Geburtstag wird gefeiert, unbeschwert scheinende Sommertage erlebt, der Besuch der Schwiegermutter zelebriert und seine Abberufung beweint. Das, was hinter der Mauer abläuft, bleibt im Vagen und das Verbrechen nicht benannt.
Der Bruch im zweiten Teil des Films verwirrt. Größeres Ausstattungskino bricht sich Bahn, eine chronologische Einordnung erfolgt (es ist Februar 1944, im Mai beginnen die Deportationen der ungarischen Juden nach Auschwitz-Birkenau, die Rote Arme stößt Ende Juli bis Warschau vor) und Differenzen in der SS-Führung werden angedeutet (Vertreter der Vernichtungsfraktion gegen die der Ausbeutung in den errichteten Industrieanlagen). Höß bleibt der perfekte Mann fürs Grobe, zerbricht dann aber auf der Treppe an seiner Andersartigkeit.
Jonathan Glazer reduziert auf das für ihn Wesentliche. Die artifizielle Anordnung mündet mit ihren klassischen filmischen Mitteln in eine Art Gefühlsmontage. Viele Zuschauer werden aber fragend zurückbleiben. Das Erzählen über die Taten und die Analyse misslingt bzw. fehlt einfach.
Ausgangspunkt ist die postulierte „Banalität des Bösen”. Die Person Höß wird strichartig skizziert und als völlig durchschnittlicher Protagonist des Bösen eingeführt. So als Behauptung und gefühlt nachvollziehbare These mag es stimmig scheinen. Die realen Gestalten und deren Taten sprechen aber für komplexere Zusammenhänge. Allein die Stellenbeschreibung für Höß dürfte für die Filmfigur schlichtweg etwas zu groß sein. Die Typen, die diese Jobs erledigt haben, verfügten über ganz besondere Fertigkeiten und Abartigkeiten. Eine schlüssige Erklärung für das Verhalten der damaligen Protagonisten liefert »The Zone of Interest« jedenfalls nicht. Die Frage nach dem Warum, wie das geschehen konnte und wie Menschen so etwa tun können, bleibt offen.
Dann wären noch zwei Dinge jenseits aller Ambivalenz. Irritierend ist zum einen der vorangestellte Erklärfilm. Warum muss der Anspruch vorab erklärt werden, wozu? Auch schwer zu entschlüsseln sind die Szenen mit der Wärmebildkamera, die ein Mädchen Nachts bei ihrem Tun begleitet.
Nur an einer Stelle durchbricht Glazer seine selbstgewählte Kapsel der Erinnerungsbewältigung. Der Film endet mit Sequenzen der Reinigungsarbeiten in der Gedenkstätte in Oświęcim, das Alltägliche der heutigen Zeit trifft auf die konstruierte Alltagssymbolik des Films. Irritation, Fragen und Erschrecken entstehen. Hier bricht der Film aus seiner selbstgefälligen Pose. Das Undenkbare bricht sich Bahn, leider zu spät und scheinbar ohne Zusammenhang.
Mersaw