Biedermann und die Prinzessin
Leider habe sie ihn vor den Dreharbeiten nicht lesen dürfen, sagt Margarethe von Trotta, noch immer zerknirscht ob dieses Mankos. Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, von der Familie Bachmanns 30 Jahre lang zurückgehalten, erschien erst Ende 2022 bei Suhrkamp (mit dem sprechenden Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“), als von Trottas Bachmann-Film abgedreht war. Das klingt rechtfertigend und in der Tat hat die Regisseurin die Liebesgeschichte der beiden recht eindimensional aus der Sicht der Dichterin erzählt. Bachmann und Frisch lernten sich 1958 in Paris kennen und führten gute vier Jahre lang eine spannungsreiche On-Off-Beziehung. Aus Sicht der Nachwelt wurde lange Zeit Max Frisch als toxischer Mann nicht nur für Bachmanns Zusammenbruch nach Ende der Beziehung, sondern auch für Bachmanns tragischen Tod 1973 verantwortlich gemacht. Dieser Erzählung folgt die Regisseurin. Vicky Krieps Ingeborg Bachmann haucht sich elegisch durch die einzelnen Szenen und schaut mit großen verstörten Rehaugen auf ihr Gegenüber.
Ronald Zehrfeld hat die undankbare Aufgabe, Max Frisch als verkniffen-piffigen Spießer zu verkörpern, mit stets heruntergezogenen Mundwinkeln, der Schweizer Pünktlichkeit und Haushalttugenden einfordert und vor Eifersucht zu platzen droht. Ein glanzloser kleiner Biedermann, und Zehrfeld hat denn auch wenig zu spielen. Sollte Max Frisch so oder so ähnlich gewesen sein, muss man sich fragen, wie er Ingeborg Bachmanns Interesse über vier Jahre fesseln konnte. Interessanter sind die künstlerischen Hakeleien der beiden, die Voraussetzungen für ihr Schreiben, der Kampf um ungestörte Arbeitszeit, die Eifersüchteleien, die Eitelkeiten.
Eher beiläufig und um so wirkungsvoller thematisiert von Trotta auch den Fluch des frühen Erfolges der Dichterin Bachmann, die ewige Frage von Kritik und Leserschaft, wann sie denn endlich wieder Gedichte schreiben werde, die Ablehnung ihrer Prosa. Hier wird der Film deutlich vielschichtiger. Sympathisch auch die Rahmenhandlung, Bachmanns Reise in die Wüste mit dem neun Jahre jüngeren Autor Adolf Opel (Tobias Resch) und die Andeutung einer Heilung - der Möglichkeit, dass Bachmanns Leben auch anders hätte verlaufen können, weniger selbstzerstörerisch. Margarethe von Trotta inszeniert die Szenen aus Bachmanns Leben mit großer Künstlichkeit, es wird viel Originaltext deklamiert. Die schönen Tableaus wirken teilweise wie aus der Kino-Retorte, sehr distanziert und äußerlich. Womöglich ist die Entscheidung zugunsten dieser hölzernen Darstellung dem Versuch geschuldet, Gefühligkeit zu vermeiden.
Die in jeder Szene wechselnden, sehr eleganten Kostüme der Autorinnenfigur schließen ohnehin jeden Realismus aus und haben eine seltsam ambivalente Wirkung. Einerseits erzeugen sie schnöde Lust am divenhaften Aufbrezeln, eine Art Shopping-Neid; andererseits Erstickungsgefühle. Wollte von Trotta über das Kostümbild (Uli Simon) mitteilen, dass sich zumindest die westliche Welt seit Mitte der 1960er Jahre minimal bewegt hat und die Freiräume für Künstlerinnen heute weniger schmal sind? Spannende Frage: Wie würde sich Ingeborg Bachmann heute inszenieren? Ganz sicher nicht als Opfer.
Grit Dora