22. November 2021

Der sehr sensible Mr. Bond

Daniel Craig lässt es mit viel Gefühl krachen, »Keine Zeit zu Sterben«, Kritik, Pro & Contra
Der sehr sensible Mr. Bond

Daniel Craig lässt es in »Keine Zeit zu sterben« mit viel Gefühl krachen. Nach vielen Verschiebungen ist Commander Bond nun endlich wieder im Kinoeinsatz. Das Resultat wird in der Redaktion des Kinokalender Dresden allerdings ganz unterschiedlich bewertet.

Pro – Obacht: Maximale Spoiler-Dichte!

Ach James! Da stehst du nun, standhaft, wie du gemacht bist, im Gegenwind und wartest auf die Cruise-Missiles, die dich töten werden (armer M., der diese unpopuläre Entscheidung treffen muss). Du telefonierst noch ein bisschen mit der Liebsten, stirbst erst ganz, ganz langsam am neuerlichen Trennungsschmerz und dann ganz schnell am Raketeneinschlag. Obwohl, wer weiß, am Ende überlebst du ja doch in irgendeiner fetten Betonspalte und kommst im nächsten, dem dann 27. Bond mit neuem Gesicht daher … aber das ist das Problem des zukünftigen Drehbuchteams.

Für Daniel Craig ist die Sache gelaufen und ob er seinen letzten Film als Agent seiner Majestät dann doch gern gedreht hat oder so unlustig, wie allenthalben behauptet wird, ist am Ende wurscht. Sicher ist, dass er die Figur des James Bond geprägt hat, wie nur noch einer der vielen Herren, die vor ihm auf der 007 gesessen haben, der unvergängliche Sean Connery.  Craigs 007 ist müde und das macht ihn unwiderstehlich. In sechzehn Jahren ist er prima gereift. Er gibt seinem James eine mürrische Noblesse, schaut versonnen, melancholisch, ein wenig jenseitig schon. Die Abkehr hat begonnen. Er lässt seinen Gefühlen freien Lauf. (Du warst schon immer zu sensibel, James, sagt Blofeld.) Er tut, was getan werden muss und bedient sich dabei wie gehabt Spielneid erzeugender technischer Requisiten und der Hilfe seines nerdigen Kollegen. (Ich habe Blofelds Auge entsperrt, sagt Q.) Er wechselt elegant die vielen irre schönen Schauplätze: Hawai, Süditalien, Norwegen und so weiter, um schließlich auf der finalen einsamen Insel im russisch-japanischen Grenzbereich anzukommen, die das aufs innigste zu wünschende Ziel dieses speziellen Bonds ist. Sterben, schlafen. Nichts weiter. Ein Mann macht seinen Frieden. Vorher aber wird nochmal das ganze popkulturelle Spektakel abgefackelt, für das die Fangemeinde in die Kinos strömt. Regisseur Cary Joji Fukunaga haut genauso routiniert in die Bond-Tasten wie Hans Zimmer, der bis zur Austauschbarkeit auf bewährte Töne setzt. Hoher Wiedererkennungswert, nix neues, aber das tief gefühlt, also große Oper. (Kleines Detail: Fukunaga bringt uns zur Abwechslung nach unzähligen immer ausgedachteren Anomalien der jeweiligen Bond-Bösewichte den Schrecken einer schlichten weißen Maske wieder nahe, ein kleine Verbeugung vor dem Minimalismus, der in Bond-Filmen ansonsten schrecklich fehl am Platz ist.)

Die beiden bedienen perfekt die Bond-Konventionen und machen damit einen hübschen Kontrast zum Skript auf, das ganz auf die Gegenwart gerichtet ist. Den Job von Nummer 007 hat die neue Kollegin schon eingenommen, bevor James noch von Haiti zurück ist. Und das letzte Wort in diesem Film hat eine Frau. (Sein Name war Bond, James Bond, sagt Madeleine.) So trifft Bond-Tradition auf Neuzeit. Knirschend, scheppernd, unrund aber mit Potential. Nach der Sternstunde des grandios verfeinerten »Skyfall« kam der mit Unwuchten behaftete »Spectre«. Nun zieht »Keine Zeit zu sterben« einen sauberen Strich unter das, was bisher geschah, und versieht ihn mit einer zarten Pfeilspitze in Richtung Zukunft. 

Grit Dora

 

Contra:

Das ist er also nun – der Bond-Film, den Daniel Craig nie machen wollte. „Lieber würde ich dieses Glas hier zerbrechen und mir die Pulsadernaufschneiden“, gab er nach dem Start des Vorgängerfilms »Spectre« 2015 in einem Interview zu Protokoll. „Falls ich je einen weiteren machen sollte, dann nur des Geldes wegen.“ Eine Aussage, die ihm wahrscheinlich viele vorhalten in diesen Tagen. Aber letztendlich ist Craig auch nur ein Mensch, der seine Meinung ändern kann und darf. Und solange es ein Publikum gibt, das ihn in dieser ikonischen Rolle, die er nun schon seit 2006 mit Bravour ausfüllt, sehen will, warum nicht?

 

Herausgekommen ist der bisher längste Eintrag in der Filmographie des britischen Doppel-Null-Agenten mit der Lizenz zum Töten. Kein Wunder, denn Regisseur Cary Joji Fukunaga hat auch einiges abzuhandeln in »Keine Zeit zu sterben«: Bonds immer noch nicht überwundenes Vesper-Lynd-Trauma, sein beständiges Misstrauen gegenüber Anderen, Blofelds weiterhin aktives Umfeld und zu allem Überfluss auch noch eine hochmotivierte Kollegin, die nun selbst das 007-Trikot trägt, seit er am Ende von »Spectre« das Weite suchte und seinem Dienstherren den Rücken kehrte. Das bereitet die Bühne für ausreichend Action, wohldosierten Humor – und viel Drama, Baby! Sowas kann Schauspieler Craig zum Glück. Aber einen Old school-Bond, wie ihn viele Zuschauer vielleicht erwarten, gibt es hier nur in wenigen Momenten.

 

Das ist jedoch gar nicht mein Kritikpunkt. Vielmehr zeigt sich in »Keine Zeit zu sterben« mehr als zuvor, dass die Reihe zwar weiterhin auf fabelhaftes technisches und inszenatorisches Können bauen kann. Jedoch wirkt hier Vieles wie „Dienst nach Vorschrift“: Die Stunts, die Feuergefechte, die Verfolgungsjagden, ja sogar die Locations und Setdesigns kommen den Bond-Kennern bekannt vor. Fraglos schön, aber wenig überraschend. Das Gegenteil gelingt Fukunaga und seinem Team nur in einer Handvoll Szenen, beispielsweise beim Versteckspiel im Nebenwald oder dem Wirbelwind-Auftritt von Guckschatz Ana de Armas alias Nachwuchs-Agentin Paloma. Nicht einmal Soundtrack-Workaholic Hans Zimmer – parallel momentan in »Dune« zu hören – scheint noch große Lust zu haben, seine bekannten Versatzstücke zu variieren. Von der Titelsequenz (und dem leider abermals austauschbaren Titelsong) ganz zu schweigen. Nach solch cineastischen Großtaten wie »Casino Royale« oder »Skyfall« ist dieses „machen wir es so wie immer“ jedoch – zumindest in meinen Augen – schlicht nicht genug.

 

Inhaltlich hat sich das Autorenquartett, zu dem dieses Mal sogar »Fleabag«-Schöpferin Phoebe Waller-Bridge zählt, da schon mehr aus dem Fenster gelehnt. Einige Entscheidungen des Skripts sind mutig und dürften nicht jedem Bond-Aficionado schmecken. Etwas von der hier präsentierten Konsequenz hätte ich mir damals fürs »Spectre«-Finale gewünscht, dessen letzte halbe Stunde ich mir sechs Jahre lang als Fiebertraum schön redete, in der Hoffnung, dieser Quatsch sei nicht wirklich geschehen. Aber ausgerechnet hier enttäuscht »Keine Zeit zu sterben« Story-technisch und wählt darüber hinaus noch eine, na nennen wir es „ungewöhnliche“ Pre-Titel-Sequenz.

 

Vielleicht ist es genau diese Diskrepanz zwischen (meist) starkem inhaltlichen Neuland einerseits und (oft) enttäuschender optischer Resteverwertung andererseits, die nicht ganz zusammenpasst und mich unzufrieden zurücklässt. Aber wie heißt es an vielen Stellen in »Keine Zeit zu sterben« so passend: „007 – das ist nur eine Nummer.“ In diesem Sinne freue ich mich jetzt einfach auf den nächsten Teil – Nummer 26.

Csaba Lázár