5. September 2019

Pedro Almodóvar weiss, wie es geht.

Grosses Kino, alter Junge!
Pedro Almodóvar weiss, wie es geht.

Insgeheim halte ich Pedro Almodóvar für den letzten Punk des europäischen Kinos. Es hat nicht nur was mit Almodóvars Frisur zu tun, mit seinem schicken weißen Schopf, der immer noch so gut Grün und Pink annimmt. Es hat nicht nur was damit zu tun, dass Almodóvar immer noch so aussieht wie Tom Hulce in Miloš Formans »Amadeus«. Es hat was damit zu tun, dass er weiß, wie grausam die Welt ist, aber die Leinwand nie grau sein darf. Sein Kino knallt, ist wild, bunt, romantisch und selbstironisch. Auch seine Filmtitel sind Kracher: »Matador«, »¡Átame!« (Fessle mich!), »Los abrazos rotos« (Zerrissene Umarmungen).

Diese herrliche Hybris! Hah! Jetzt also »Dolor y gloria«, was man mit »Leid und Herrlichkeit« übersetzen kann, oder mit: Schmerz und Ruhm« - darunter macht es Pedro Almodóvar nicht. Es geht ihm um alles, auch um sich und vor allem um das Kino an sich. Antonio Banderas spielt Salvador Mallo, einen erfolgreichen spanischen Filmregisseur, einen aus Autofiktion und Fiktion gut gemixten Almodóvar, dem Banderas noch ein paar Umdrehungen mehr verleiht. Der alternde, von diversen körperlichen und seelischen Schmerzen geplagte Regisseur hält Rückschau – auf seine Kindheit, seine frühen Lieben, seine Arbeitsentscheidungen. Banderas macht das grandios beiläufig und dennoch stets glamourös. Den Qualen der Selbstbeobachtung, der qualvollen Häutung nach der langen Trauerzeit um die Mutter, allem verleiht er Glanz. Die romantisierenden Rückblenden in die Kindheit spielen mit den schillernden Farben der Verklärung. Kontrastierend sind die Erinnerungen an die Mutter, kurz vor deren Tod gebaut - viele pragmatische Gespräche, detailgenaue Anweisungen zu Aufbahrung und Beerdigung, aber alles zärtlichsten Tonfalls. Dazwischen blitzen die Verletzungen auf.

In der ersten Einstellung sitzt Salvador Mallo meditierend im Pool, den Kopf unter Wasser, ganz im Flow, die Haare schwebend wie Unterwassergras. Ikonisches Bild. Lakonisch-selbstironisch dann die Energie sparende Rückenschonhaltung in der Salvador aus dem Taxi steigt, ach, das Alter, die ewige Empfindsamkeit und Hypochondrie... eine Filmminute später zieht er sich Heroin rein, die Augen zieht es zu, dahinter erscheinen Bilder, große Augen-Blicke, Kino-Momente: Die Gesangsstunde in der Priesterschule, der Sonnenstich nach einer Modellsitzung, das Erwachen des Begehrens. Zwischen Szenen in der typischen Almodovar-Buntheit taucht viel blendendes Weiß auf, Weißwäsche auf der Leine, über Büsche gebreitete Laken, das Weiß der großen Leinwand in einem Theaterraum – die Faszination des Kinos ist immer Thema.  


Das Problem am Heroin hingegen ist nicht nur die Beschaffungsfrage sondern auch die miese Optik des Stoffs – eine Handvoll Schmerzmittel-Smarties ist viel kinotauglicher  - also kehrt Salvador dahin zurück, natürlich auch aus anderen, inhaltlichen Gründen. Er trifft eine inzwischen heroinfreie Jugendliebe wieder. Zwei graubärtige Männer, Mittfünfziger, feiern ihr Wiedersehen und die Erinnerung an ihre große Liebe mit einem intensiven Zungenkuss. Großaufnahme. Das sieht man auch im Kino des 21. Jahrhunderts nicht irre häufig und da blitzt er wieder auf, der Punk, seine hintergründige Subversion. Es geht ums Ganze, um das Leben, die Kunst, die Liebe. »Leid und Herrlichkeit« ist ein Statement. 


Pedro Almodóvar wird in diesen Tagen übrigens unwahrscheinliche 70 Jahre alt.

Hut ab, Mütze weg! Feliz cumpleaños!


Grit Dora

Foto: © studiocanal

http://www.studiocanal.de/kino/leid_und_herrlichkeit