Nymphomaniac 1

Drama/Erotik, Dänemark/Deutschland/Frankreich/Schweden 2013, 117 min

Der ältliche Herr Seligman (Stellan Skarsgård) stößt im düsteren Hof seines Wohnhauses auf die zusammengeschlagene Joe (Charlotte Gainsbourg). Joe ist ziemlich lädiert, die Veilchen in ihrem Gesicht blühen. Ist auch in Ordnung so, findet Joe. Sie sei schließlich Müll. Seligman nimmt sie mit in seine Wohnung, bietet ihr Tee an. Sie legt sich auf sein Sofa und dem schüchternen Zuhörer ihre Lebensbeichte ab. Der elegante Diskurs der Rahmenhandlung zwischen dem Bücherwurm und der Nymphomanin steht in mitunter fast komödiantischem Kontrast zu den überbordenden Sexszenen aus Joes Vergangenheit. Alle möglichen machbaren Konstellationen werden da abgehandelt. Wer Pornografisches sucht, wird es auch finden. Aber dafür kann man genauso gut ins Internet gehen. So eindeutig, wie der Titel es vorgibt, befasst sich ein Lars von Trier natürlich nicht mit dem Kampfthema Sexualität. Das Major-Thema bildet den Angelpunkt für seine neuerliche Auseinandersetzung mit (vor allem abendländischer) Kunst; mit Philosophie, Literatur und Musik. Der Agent Provocateur des europäischen Kinos zitiert de Sade, Bataille und gern auch sich selbst. Er lässt zwei extrem unterschiedliche Lebensprinzipien in den Ring treten. Die fleischgewordene Verausgabung (Charlotte Gainsbourg wirft sich grandios in ihre Rolle), tritt gegen einen Theoretiker an, der mit seinen circa 60 Jahren noch Jungfrau ist, und versucht ihn anhand ihres Lebens von der Unzulänglichkeit des Seins zu überzeugen. Seligman kontert mit Philosophie. Ein sehr spezieller Zweikampf wird hier ausgetragen. Regie-Berserker von Trier hat sich nach dem Cannes-Skandal von 2011 konsequent an sein „Schweigegelübde“ gehalten und zu seinem neuen Film nichts geäußert. Er wirft ihn mit einer persiflierten „Sex sells“- Werbekampagne auf den Markt. Vorab gab es schon mächtiges Tamtam um „die Orgasmusgesichter der Stars“ auf den Kinoplakaten. Neben Charlotte Gainsbourg sind das immerhin Uma Thurman, Shia LaBeouf, Christian Slater, Willem Dafoe und Udo Kier. Skandalös sind die Aufnahmen nicht. Sie demonstrieren vor allem die nachhaltige künstlerische Anziehungskraft des Dänen. »Nymph()maniac 1« startet vier Jahre nach »Melancholia« und ist der dritte Teil der „Trilogie der Depressionen“. Vom Gesamtwerk gibt es eine vier- und eine fünfeinhalbstündige Version. Die kürzere Version wird in zwei Teilen veröffentlicht. In Deutschland startet der zweite Teil am 3. April 2014. Die ungekürzte Fassung von Teil 1 läuft hierzulande vorerst nur auf der Berlinale. Klingt alles etwas kompliziert, aber so hat es der Regisseur gewollt. Ob die fünfeinhalbstündige Fassung mit weiteren expliziten Sexszenen mehr Erkenntnisgewinn und Kinovergnügen bringen wird, sei dahin gestellt. Beide Fassungen sind ein Directors Cut.
Grit Dora